Ansprache vom 08.05.2014 - Am neuen Denkmal

Wir wollen heute der fast 2000 „Fremdvölkischen“, wie sie in der Amtssprache genannt wurden, gedenken, die zwischen 1939 und 1945 im Amtsbezirk Meinerzhagen, also einschließlich Valbert, zwangsgelebt und zwangsgearbeitet haben. Ganz besonders denken wir dabei an die 19 Frauen und Männer und 7 Kinder, die in dieser Zeit den Tod fanden und hier - auf einem eigentlich Jüdischen Friedhof, begraben wurden. Diesem Umstand hat dieser Friedhof wahrscheinlich sogar sein Fortbestehen zu verdanken. Ein neuer Gedenkstein, finanziert von nichtgenannten Spendern, soll an alle Opfer der Zwangsarbeit sichtbar und würdig erinnern 

Ich habe mich bei der Vorbereitung auf den heutigen Tag in den letzten Wochen bei Freunden und Bekannten umgehört, um zu erfahren was sie über die Zwangsarbeit in Meinerzhagen wissen. Ganz wenige hatten überhaupt schon mal darüber etwas vernommen, geschweige sich damit näher befasst. Bei allen war eine deutlich reservierte Haltung zu diesem Thema zu spüren. Und wo die verstorbenen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter begraben wurden, wusste auch kaum jemand.

Ich habe mich gefragt, warum das so ist?

Viele Ältere aus Meinerzhagen wissen noch von den Zwangsarbeiterbaracken, Kontakt hat es aber kaum gegeben. Bei mal gerade in dieser Zeit ca. 5000 Einwohnern in Meinerzhagen, konnte es aber wohl gar nicht  möglich gewesen sein, dass man etwas vom Leben und Arbeiten der knapp 1700 Zwangsarbeitern im Dorf nicht mitbekam. Aber es war wohl der damaligen Schreckensherrschaft geschuldet, dass Weggucken vielleicht sogar das Überleben sicherte. Es ist also 70 Jahre später anscheinend immer noch so schwer damit zu leben, dass es auch in unserem Heimatort während der Kriegszeit großes Unrecht gegeben hat.

Vielleicht Ist es ja auch nicht zu ertragen, dass vielleicht sogar Vorfahren oder mir bekannte Einwohner dieses Ortes an diesem bedrückenden und verabscheuungswürdigen Tun beteiligt waren? Oder habe ich es als Kind sogar miterlebt und es hat mich dann so gezeichnet, dass ich es lieber vorziehe zu verschweigen um irgendwann einmal vergessen zu können?

Um Vergessen zu können muss ich aber erst einmal Umstände reflektieren. Um meinen Frieden mit diesem Übel zu finden, muss ich mich mit dem Thema auseinandersetzen und ich kann nicht von mir aus sagen:

„ Lass uns doch endlich die Sache vergessen.“

Hier sind die Opfer und deren Nachkommen gefragt Vergebung zu gewähren.

Noch heute leben Menschen an denen dieses Unrecht vollzogen worden ist – noch 10 Jahre weiter und diese Zeitzeugen leben wahrscheinlich nicht mehr.

Aber wird diese Schuld dann kleiner?

Man kann das Thema der Zwangsarbeit mit allen schlimmen Begebenheiten jener Zeit nicht einfach vergessen machen. Zur Geschichte dieser Stadt gehören nun mal eben auch unrühmliche Zeiten. Aber ich möchte in einer Stadt leben, in der man offen und ehrlich mit dieser Schuld umgeht.

Ich werde nicht so vermessen sein hier mit dem einfachen Bürger der damaligen Zeit ins Gericht zu gehen. Ich lebe jetzt 60 Jahre hier in dieser Stadt und habe nur den Frieden kennengelernt. Wie ich mich verhalten hätte wäre ich früher geboren, weiß ich nicht zu sagen. Trotzdem möchte ich in so weit Klage führen, weil ich ja auch in meiner Kindheit, und sogar noch jetzt, auf Schweigen , Wegdrehen und Nichterinnernwollen stoße

Das kleine Buch „…denn das sind die schwersten Seiten meines Lebens, die mir in jungen Jahren zugestoßen sind!“ verfasst und herausgegeben von Martin Witscher und Ira Zezulack-Hölzer vom Stadtarchiv Meinerzhagen, ist ein bedrückendes Dokument der Zwangsarbeit in Meinerzhagen. Es ist aus heutiger Sicht nicht zu verstehen und eigentlich auch nicht zu ertragen was in dieser Zeit an Unrecht und Gewalt, einfach Unmenschliches, abgelaufen ist. Wussten Sie, dass die hauptsächlich weiblichen jungen Zwangsarbeiterinnen erst angeworben, aber später einfach eingefangen und verschleppt – im Sinne des Wortes versklavt wurden? Die stark expandierende Rüstungsindustrie verlangte nach Arbeitskräften – die Männer waren ja im Krieg  - und so hat man sich dann einfach neben den Kriegsgefangenen an den Frauen in den besetzten Gebieten bedient.

Einige Meinerzhagener Betriebe haben Zwangsarbeiter angefordert. Wer keine anforderte bekam auch keine. Die Menschen wurden in Lagern untergebracht, man muss wohl aber eher sagen eingepfercht, die in der Regel eingezäunt und bewacht waren. Die Verpflegung war denkbar schlecht – Hunger ein ständiger Begleiter. Die hygienischen Zustände unerträglich, aber irgendwann ist man wohl so abgestumpft, dass einem alles egal ist. Es gibt Berichte über Misshandlungen, ob von Aufsehern oder auch von der Polizei. Die Polizei befand sich damals noch in der Amtsverwaltung. Von deren Mitarbeiterinnen kam die Beschwerde, dass das Schreien der vernommenen und geschlagenen Zwangsarbeiter so laut gewesen sei, dass es nicht auszuhalten sei. Die Vernehmungen wurden daraufhin ins Nebengebäude verlegt.

Man kann so ein Buch nicht einfach lesen und dann zur Seite legen. Es macht betroffen und tief traurig. Aber es fordert auf sich dafür einzusetzen, dass so etwas nie wieder passiert.

Darum sind wir heute hier: wir wollen nicht vergessen, sondern erinnern. Dieser neue Gedenkstein soll zugleich Mahnmal aber auch ein Stein der Hoffnung sein.

 

Joachim Trambacz

 

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