Vor 75 Jahren, am 16. Januar 1938,  floh die Familie Oskar Fischbach in die USA und rettete so ihr Leben.
 
nach Recherche von Ira Zezulak-Hölzer (Stadtarchiv Meinerzhagen)
 

Es war ein trauriger Abschied, als am 16. Januar 1938 die Familie Robert Koch aus der Lindenstraße 14 ihre bisherigen Vermieter am Bahnhof in Meinerzhagen verabschiedete. Als Abschieds- und Erinnerungsgeschenk gab es Kasperlepuppen für die damals 8 und 4 Jahre alten Fischbachtöchter Ellen und Margot. Von Meinerzhagen ging es nach Hamburg und von dort  am 08.Februar 1938 mit dem Passagierschiff Manhattan nach New York. Ziel war die Stadt Tulsa in Oklahoma im mittleren Westen der USA. Wer war die Familie Fischbach aus der Lindenstraße 14?

Oskar Fischbach wurde am 09.12.1894 in Meinerzhagen geboren. Er war das fünfte Kind der Eheleute Jacob und Emma Fischbach, geborene Stern. Beide Elternteile waren gebürtige Meinerzhagener. 1928 heiratete er Jenni, geborene Jungheim, die am 26.05.1897 in Zwesten, Kreis Fritzlar/Hessen geboren war. Jenni Jungheim war das jüngste von sechs Kindern. Die Eheleute bekamen 2 Töchter. Ellen wurde am 04. Juli 1929 in Meinerzhagen und Margot am 18.09.1933 im Krankenhaus in Lüdenscheid geboren. Die heute noch lebende und damals 13 Jahre alte Zeitzeugin Anni Boese, geborene Kamphaus, erinnert sich, dass ihre Mutter auf Bitten von Oskar Fischbach seine Frau Jenni nach Lüdenscheid ins Krankenhaus begleitete. Fischbachs waren zu diesem Zeitpunkt Nachbarn der Familie Kamphaus. Frau Boese selbst passte auf die kleine Margot als Nachbarstochter häufiger bei schönem Wetter im Sommer des Jahres 1934 auf.

 
Oscar und Jenny Fischbach Schulfreunde. Links Oscar und rechts Julius Fischbach Als Soldaten im I. Weltkrieg: Oscar und Julius Fischbach

Oskar Fischbach kämpfte im 1. Weltkrieg für sein deutsches Vaterland. Er war Frontkämpfer und wurde verwundet. Die Meinerzhagener Zeitung veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 16.11.1916 auf ihrem Titelblatt die „Ehrentafel für unsere Meinerzhagener Helden – Das Eiserne Kreuz II. Klasse wurde verliehen: Gefreiter Oskar Fischbach, Meinerzhagen.“
Oskar Fischbach war wie sein Bruder Julius, wie sein Vater Jakob und sein Großvater Moses Viehhändler. Bis 1934 betrieb er das Geschäft gemeinsam mit seinem Bruder Julius Fischbach. Ab 01.01.1935 führten sie ihre Betriebe getrennt, Oskar Fischbach in der Lindenstraße 14 und Julius Fischbach in der Derschlager Straße 11.

     
Oscar Fischbach verwundet im Lazarett Titelseite der Meinerzhagener Zeitung vom 16.11.1916 Oscar Fischbach als Sänger im Gesangsverein
"Deutscher Liederkranz"

In einem Bericht schreibt die Amtsverwaltung Meinerzhagen an die Kreisverwaltung Altena am 16.09.1955: „Julius und Oskar Fischbach waren sehr fleißig. Sie lebten beide in geordneten und auch recht guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Sie betrieben ein sehr gut gehendes Viehhandelsgeschäft. Nachdem sie sich 1934 trennten, errichtete Oskar Fischbach ein eigenes Wohn- und Geschäftshaus in der Lindenstraße in Meinerzhagen. Nach der Machtübernahme litten beide Geschäfte unter dem allgemeinen Boykott jüdischer Geschäfte. Nach Verkündung der Nürnberger Gesetze verstärkte sich der Boykott derart, daß beide Geschäfte nicht mehr aufrecht zu erhalten waren. Die damalige Politik ließ beide für ihr Leben und Eigentum fürchten, sodaß sie im Jahre 1938 nach Nordamerika auswanderten. Bei der hiesigen Amtskasse zählten beide zu den pünktlichsten und besten Steuerzahlern.“ Soweit der damalige Amtsoberinspektor und spätere Stadtdirektor Langemann.

Nach der Beschlagnahmung seiner Kundenkartei wurde der Druck auf Oskar Fischbachs Kunden so stark, dass die Einnahmequellen versiegten. Am 01.01.1937 musste das Viehhandelsgeschäft aufgegeben werden. Für Oskar Fischbach und seine Familie gab es in Deutschland keine Zukunft mehr.
Oskar Fischbach war aktives Mitglied im Männergesangverein „Deutscher Liederkranz“ und sang im 1. Tenor. Als passives Mitglied gehörte er auch zum Männergesangverein „Germania“. Im Festbuch zur 30-jährigen Jubelfeier im Juni 1928 steht sein Name in einer alphabetischen Auflistung der passiven Mitglieder vor Otto Fuchs.

Zunächst wohnte er mit seiner Familie im elterlichen Haus Derschlager Straße 11 (heute Monis Grill), bevor er zu Leo Stern in die Kirchstraße 5 (heute Physiotherapie) zog. Durch die bevorstehende Geburt der zweiten Tochter wurde diese Wohnung zu klein und es musste eine neue Wohnung gefunden werden. Vorübergehend ging es zum damaligen Adolf-Hitler-Platz in das Haus Höhn (inzwischen abgerissen und heute Parkplatz unter dem Gemeindebüro der Ev. Kirchengemeinde Meinerzhagen). Was weiter geschah, schildert Margot Fischbach-Bilinsky in ihrem 2002 produzierten Film „Das Medaillon – Jüdische Familien in Meinerzhagen“: „Ab 1934 hatten viele Nichtjuden Angst davor, an Juden zu vermieten. Mein Vater besaß ein Stück Land an der Lindenstraße, wo er eventuell plante ein Haus zu bauen.

lso entschied mein Vater, dieses Haus besser jetzt zu bauen. Er ging zum Rathaus, um eine Genehmigung zu beantragen, dieses Haus zu bauen. Man teilte ihm mit, dass es keine Genehmigungen mehr für Juden gäbe. Meine Mutter drängte ihn, es noch einmal zu versuchen. Dieses Mal verließ der Büroangestellte den Raum, kehrte zurück, und sagte: „Wir hören, ihr Juden schickt euer Geld in die Schweiz. Ihr solltet euer Geld in Deutschland halten. Bauen Sie also ihr Haus.“ Er gab ihm die Genehmigung.

     
Margot, Jenny und Oscar Fischbach Fischbachs Haus in der Lindenstraße 14 Mit der S.S. (Steam Ship) Manhattan in die Freiheit

Bei der Errichtung des Daches des neuen Hauses übergingen die Nachbarn die Nazis, indem sie ein Fest organisierten, um die Fertigstellung zu feiern, trotz der Gefahren, die es mit sich brachte, wenn ein solches Fest für Juden abgehalten wurde.“ Soweit Margot Fischbach-Bilinsky. Dieses Mehrfamilienhaus ist im Volksmund auch heute noch als das Fischbachhaus bekannt.

Die Fischbachs hatten nicht lange etwas von ihrem neuen Heim. Im Oktober 1937 verkauften sie es zu einem durch die damalige Situation niedrigen Preis an benachbarte Fabrikanten.
Diese übernahmen die auf dem Grundstück lastenden Hypotheken, was den Großteil des Verkaufspreises ausmachte. Der Restbetrag wurde in zwei Raten bar ausgezahlt. Damit bestritt Oskar Fischbach die Kosten der „Auswanderung“  für seine 4-köpfige Familie und für seine Schwiegermutter in Höhe von rund 7000,00 RM. Die nach dem Ende des zweiten Weltkrieges für solche Transaktionen erlassenen Gesetze bestimmten, dass diese anfechtbar waren, wenn sie nach dem 15.09.1935 (Verkündung der Nürnberger Gesetze) erfolgten.Im Rückerstattungsverfahren beim Landgericht Hagen verglich sich Oskar Fischbach mit den damaligen Besitzern und erhielt eine Nachzahlung als Abgeltung aller Ansprüche.Der heutige Eigentümer des Hauses Lindenstraße 14 hat dieses im Jahre 1976 von den Inhabern der benachbarten Firma erworben. Die Möbel von 2 Schlafzimmern, dem Esszimmer und der Küche verkaufte Oskar Fischbach zu Schleuderpreisen. Immerhin war es ihm zu dieser Zeit noch möglich, den restlichen Hausrat in die USA zu verschiffen. Bei dem Transportgut befand sich auch eine Nudelmaschine. Mit dieser wollte er sich in den USA eine neue Existenz aufbauen. Vor seiner Ausreise lies er sich dazu in einer Bielefelder Nudelfabrik anleiten.Viele Papiere mussten sowohl in Deutschland als auch in den USA beschafft werden. Die Familie Fischbach hatte das Glück, dass sie Verwandte dort hatten, die bereit waren zu helfen. In Tulsa lebte die Schwester von Frau Jenni Fischbach. Ein Cousin in Wichita/Kansas trat für sie als Bürge ein. Er verpflichtete sich, die Familie nach deren Ankunft zu unterstützen. Dem amerikanischen Staat durften keinerlei Kosten entstehen.Fischbachs erhielten im Oktober 1937 im Amerikanischen Konsulat in Stuttgart die heiß begehrten und in nur sehr beschränkter Anzahl ausgegebenen green cards und Pässe und konnten sich so retten. Auch Bruder Julius Fischbach gelang mit seiner Familie im September 1938 die Flucht in die USA nach New York. Dies war den drei älteren Schwestern der beiden Brüder nicht vergönnt. Sie wurden jeweils mit ihren Ehemännern deportiert: Emilie Levy, geboren am 15.02.1888 in Meinerzhagen, am 31.03.1942 von Pohle bzw. Hannover ins Ghetto Warschau; Paula Grünewald, geboren am 25.03.1889 in Meinerzhagen, am 07.12.1941 von Köln ins Ghetto Riga; Else (Elise) Windmüller,  geboren am 26.10.1890 in Meinerzhagen, am 02.03.1943 von Ahlem bzw. Hannover ins Vernichtungslager Auschwitz. Niemand kehrte zurück. Alle wurden ermordet.

Der Neubeginn in dem Land, dessen Sprache man nicht sprach, gestaltete sich sehr schwer. Bis 1941 blieb Oskar Fischbach auf die Unterstützung der Verwandtschaft angewiesen. Die Nudelmaschine war bald defekt. Es gab keine Ersatzteile. Schließlich gelang es ihm, im Januar 1941 ein erstes Arbeitsverhältnis aufzunehmen. Er nahm jede sich bietende Arbeitsstelle an. Nach Jahren der Armut und Entbehrung wurde er 1945 Anstreicher und machte sich in diesem Beruf 1950 selbstständig.

Etwa um diese Zeit kamen Oskar und Jenni Fischbach mit als erste der ehemaligen Meinerzhagener Juden nach Meinerzhagen. Anni Boese erinnert sich, dass die beiden in die Bäckerei kamen, die sie gerade um 14.30 Uhr geöffnet hatte. Sie bat die Gäste ins Wohnzimmer, weckte ihre Eltern und holte ihren Onkel Fritz Schulte, ein Freund von Oskar Fischbach. Die Wiedersehensfreude war groß und es flossen viele Tränen. Mit den Worten „Die haben geweint wie die Kinder“ beschreibt Anni Boese die emotionale Situation. Oskar Fischbach sagte immer wieder: „Ihr wisst ja nicht was Heimweh ist“. Die Eheleute Fischbach wohnten während des längeren Besuchs bei Freunden in Schalksmühle. In dieser Zeit werden sie vermutlich dafür gesorgt haben, dass das Familiengrab auf dem neuen jüdischen Friedhof, der während der Nazizeit verwüstet wurde, wieder angelegt und mit einem großen Grabstein versehen wurde. Darauf sind auch die Namen der Schwestern und ihrer Männer sowie eines Neffen zu finden. Der 08.05.1945 ist der amtlich festgesetzte Todestag für alle, deren Todestag nicht bekannt ist.

In der MZ schreibt Eleonore Kattwinkel in der Ausgabe vom 28.05.1998 auch über diesen frühen Besuch. Der Schwiegersohn von Oskar und Jenni Fischbach, Edward L. Groner, erzählt: „Ja, einmal war er auch wieder zu Besuch nach Meinerzhagen gefahren, in den 50er Jahren wahrscheinlich. Aber dieser Besuch belastete und betrübte ihn für Jahre. Er konnte nicht verschmerzen, was er alles hatte zurücklassen müssen, nicht nur sein Haus, sondern seine Heimat: die Landschaft, die er liebte, die Menschen, die er gekannt hatte, und seine Muttersprache. Oskar Fischbach und seine Frau Jenny waren und blieben in den USA im Herzen Deutsche. Jenni Fischbach schrieb ihre Briefe in Sütterlin (jener altmodischen deutschen Handschrift) auf deutsch, in das sich einige amerikanische Brocken gemischt hatten.“

Oskar Fischbach kam danach nicht wieder nach Deutschland. Er verstarb mit 81 Jahren am 03. 07.1976. Seine Frau Jenni folgte ihm im Alter von 89 Jahren am 19.06.1986.

Die beiden Töchter Ellen Groner und Margot Fischbach-Bilinsky folgten der Einladung der Stadt Meinerzhagen und nahmen an dem großen Treffen ehemaliger jüdischer Meinerzhagener im September 1982 teil. Es war der Wunsch von Jenni Fischbach, dass ihre Kinder und Enkel mindestens einmal im Leben ihre Heimatstadt in Deutschland besuchen sollten. Diesem Vermächtnis kam Margot mit ihrer Familie 1995 nach. Sie lebt heute mit ihrem Mann Herbert Bilinsky in Chesterfield/Missouri westlich von St. Louis. Ellen verstarb am 26.09.1997 mit 68 Jahren durch einen tragischen Unfall. So besuchte ihr Mann Edward Groner als Witwer  mit seinen Kindern im Mai 1998 Meinerzhagen.

Aus Anlass der Flucht der Familie Fischbach aus Meinerzhagen vor jetzt 75 Jahren zeigt die Initiative Stolpersteine Meinerzhagen am Donnerstag, 24. Januar 2013 um 20.00 Uhr den Film „Das Medaillon – Jüdische Familien in Meinerzhagen“ von Margot Fischbach-Bilinsky  in der Galerie Langenohl, Zur Alten Post 9, gegenüber der Buchhandlung Schmitz. Hierzu sind alle Interessierten herzlich eingeladen.

 

Grab der Familie Fischbach auf dem Neuen Jüdischen Friedhof an der Heerstraße

 

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