(14. April 2016)

Zum 75. Jahresgedächtnis an Nathan Stern

Nachruf auf einen angesehenen Bürger, Sangesbruder und KriegsveteranenVon Rolf Janßen (Nach Recherchen der Stadtarchivarin Ira Zezulak-Hölzer und Rolf Janßen)

Wer war Nathan Stern? Nathan Stern wurde am 1. März 1871 in Meinerzhagen geboren. Er war das sechste von zwölf Kindern der Eheleute Levi und Henriette Stern, geb. Emanuel. Auch Nathans Vater war gebürtiger Meinerzhagener. Seine Mutter kam aus Neuenkleusheim bei Olpe.

Die Ableistung des Militärdienstes ist durch Nathans Mitgliedschaft im Wehrverein Meinerzhagen seit 1904 dokumentiert, dem nur „Gediente“ angehörten. Im Alter von 46 Jahren und als zweifacher Familienvater nahm Nathan Stern noch am Ersten Weltkrieg teil. Zwanzig Jahre später, also bereits während der Zeit des Nationalsozialismus, wurde ihm dafür das vom Reichspräsidenten von Hindenburg gestiftete Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer verliehen.

Nach Beendigung des Krieges kehrte er nach Meinerzhagen zurück und war Mitglied im Arbeiter- und Soldatenrat, der die Aufsicht über die Verwaltung ausübte und für Ruhe und Ordnung während der revolutionären Wirren dieser Zeit sorgte. Danach taucht der Name Nathan Stern in der Kommunalpolitik nicht mehr auf.

1910 heirateten Nathan Stern und Rosa Emanuel aus Olpe. Sie bekamen zwei Kinder: Sohn Hugo 1911 und Tochter Hedwig (genannt Hetti) 1913. Beide wurden in Meinerzhagen geboren. Die Familie wohnte im elterlichen Haus Zum Alten Teich 2 (nach dem zweiten Weltkrieg in Meinerzhagen als „Potthoffs Haus“ bekannt). Das Haus steht nicht mehr. Hier befindet sich heute eine Eigentumswohnungsanlage.

Wie sein Vater war Nathan Stern Viehhändler. Das Geschäft des Viehhandels betrieb er gemeinsam mit seinem 14 Jahre jüngeren Bruder Emil Stern, zuletzt wohnhaft Hauptstraße 32. Neben den beiden Inhabern war später auch Sohn Hugo mit im Geschäft tätig. Die Viehhandelstätigkeit ist durch viele Kleinanzeigen in der Meinerzhagener Zeitung belegt.

Bis 1933 hatten die Brüder ein gut gehendes Geschäft, ab 1930 lediglich beeinträchtigt durch die wirtschaftlichen Krisenjahre. Ab 1933 wurde ihnen – wie allen jüdischen Mitbürgern - systematisch neben der gesellschaftlichen auch die wirtschaftliche Grundlage entzogen, bis sie im Juni 1938 ihr Geschäft abmelden mussten.

 

Der Boykott jüdischer Geschäfte lässt sich aufgrund der Steuerunterlagen genau nachvollziehen. Wie dieser Boykott bei Viehhändlern funktionierte, zeigt folgende Geschichte. Die damalige Schülerin der Klasse 6 c des Evangelischen Gymnasiums Meinerzhagen, Eva Schriever, zitiert ihre Großmutter Anni Schriever: „Mein Schwiegervater verkaufte dem Juden Nathan Stern, der in Meinerzhagen wohnte, Tiere. Aber da das Handeln mit Juden verboten war, mußte es heimlich geschehen. So kam es, daß es doch Leute gab, die meinen Schwiegervater angezeigt haben. Im ‚Stürmer’, eine Zeitung der Nazis, erschien die Anzeige:

„Bauer und Bierverleger Rudolf Schriever aus Sankel handelt noch immer mit dem Juden Nathan Stern“.

Daraufhin bekam mein Schwiegervater einen Brief von einer Dortmunder Brauerei, in dem stand, wenn er nicht sofort aufhören würde, mit dem Juden zu handeln, kein Bier mehr von ihnen bekommen würde.“

Das von Julius Streicher herausgegebene antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ hing im gesamten damaligen Deutschen Reich in extra dafür geschaffenen Schaukästen aus, die damit auch als „Pranger“ dienten. In Meinerzhagen befand sich dieser an der Sparkasse (heute Zur Alten Post). In Kierspe-Bahnhof stand der Schaukasten an der heutigen Kölner Straße schräg gegenüber dem damaligen Postamt. Die obere Aufschrift des Stürmer-Schaukastens lautete: „Die Juden sind unser Unglück.

Anlässlich der Silberhochzeit von Nathan und Rosa Stern Weihnachten 1935 wurden die Nachbarn der Nachbarschaft „Höh“ (heute Hochstraße, Kirchstraße und Zum Alten Tteich) namentlich mit Berufsangabe im Meinerzhagener Stürmer-Schaukasten an den Pranger gestellt, die dem Silberpaar ein Geschenk und ein Ständchen mit dem tröstenden Kirchenlied „Harre meine Seele“ („Sei unverzagt, bald der Morgen tagt, und ein neuer Frühling folgt dem Winter nach. In allen Stürmen, in aller Not wird er dich beschirmen, der treue Gott.“) überbracht hatten.

 

Nathan Stern war ein Anhänger des Männergesangs. In den Mitgliederverzeichnissen des MGV „Germania“ Meinerzhagen ist er als Gründungsmitglied mit dem Eintrittsdatum 11. Januar 1898 aufgeführt. Im Jubiläumsjahr 1928 ist er Ehrenmitglied und Sänger im 1. Bass. Der Chor hatte zu diesem Zeitpunkt 41 Sänger, Vereinslokal war das Hotel Wirth. Sein Ausschluss ist nicht datiert. Lediglich der mit Bleistift geschriebene Vermerk „Jude“ hinter seinem Namen weist darauf hin.

Unter dem Eindruck der bisherigen Verfolgungsmaßnahmen flüchtete als erstes Familienmitglied Sohn Hugo Stern gemeinsam mit seinem Vetter Ludwig Emanuel aus Olpe im März 1936 nach Buenos Aires/Argentinien.

Nathan Stern war Mitglied der Synagogen Untergemeinde Meinerzhagen. Im September 1937 wurde er als Nachfolger von Leo Stern zum letzten Vorsteher der Gemeinde gewählt. Eine kleine Anekdote über ihn macht deutlich, dass er nicht orthodox eingestellt war. Als ein Bauer in der Valberter Gegend ihm nach abgeschlossenem Geschäft ein Schinkenbrot vorsetzte und dem Bauern einfiel, dass Nathan kein Schweinefleisch aß, soll dieser auf Suerländer Platt geantwortet haben: „Och, wir sind nicht so katholisch“.

Die letzte Synagoge der jüdischen Gemeinde befand sich in der Firma Knoche im Hintergebäude der Hauptstraße 39. Den Begriff „Synagoge“ verwendet die Meinerzhagener Zeitung in ihrer Berichterstattung über deren Einweihung am 26. Februar 1927. Der im Archiv der Stadt Meinerzhagen noch vorhandene Schlüssel trägt auf seinem Schlüsselanhänger die Aufschrift „Judenkirche“. Infolge der Verfolgungsmaßnahmen seit 1933 und die dadurch ausgelösten Fluchten von jüdischen Familien aus Meinerzhagen, kam nicht mehr die nötige Anzahl von mindestens 10 Männern für einen jüdischen Gottesdienst zustande (Minjan). Der angemietete Raum wurde aufgegeben und die Einrichtung im Haus und im Lagerhaus von Nathan Stern, Zum Alten Teich 2, untergebracht.

Die von der NSDAP und vom Staat reichsweit organisierte Reichsprogromnacht („Reichskristallnacht“) ereignete sich in Meinerzhagen am nächsten Morgen, also am 10. November 1938. Zunächst wurden Nathan Stern, Zum Alten Teich 2, Julius Stern, Hauptstraße 6 (heute Zur Alten Post 8), Max Rosenthal, Hauptstraße 15, Leo Stern, Kirchstraße 5 und Emil Stern, Hauptstraße 32, um 9.00 Uhr festgenommen.

Dies geschah aufgrund einer Anordnung der Staatspolizei Dortmund, nicht der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), vom 10.11.1938 um 06.00 Uhr per Fernschreiben. Darin heißt es unter anderem: „betrifft maßnahmen gegen juden. 2) geschäfte und wohnungen von juden dürfen lediglich zerstört, nicht geplündert werden.“ „7) sobald wie möglich sind in den dortigen bezirken, insbesondere einflußreiche und vermögende männliche juden gesund, und nicht zu hohen Alters festzunehmen, und zwar so viele, wie in den vorhandenen hafträumen untergebracht werden können.“

Über die Umsetzung dieser Anordnung zu 7) gibt das Festnahmebuch des Amtsbürgermeisters Meinerzhagen als Ortspolizeibehörde Auskunft. Als Ursache der Festnahme steht das Wort „Judenaktion“, wo sonst z.B. „Hausfriedensbruch“, „Sachbeschädigung“, „Landstreicherei“, „Diebstahl“, „Trunkenheit“ und „Unterschlagung“ angegeben werden. Das Polizeigefängnis im Amtshaus Meinerzhagen war für so viele Gefangene nicht ausgelegt. Daher wurden Leo Stern und Emil Stern „Wegen Platzmangel im Pol.Gefängnis Kierspe untergebracht“.

Die fünf inhaftierten Meinerzhagener wurden am 11. November 1938 „auf Anordnung des Herrn Landrats nach Lüdenscheid überführt“. Im Polizeigefängnis im Alten Rathaus trafen sie auf rund 50 Glaubens- bzw. Leidensgenossen. Dort wurden sie der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) übergeben und von dieser nach Dortmund in das Gerichtsgefängnis und in die Steinwache gebracht. An diesem Freitagabend befanden sich ca. 800 jüdische Männer in Dortmund. Am nächsten Morgen wurden sie, von SA- und SS-Leuten sowie Polizisten eskortiert, durch Dortmund geführt und schließlich am Hauptbahnhof verladen. Der Transport ging in das Konzentrationslager Sachsenhausen nördlich von Berlin.

Über die schrecklichen Geschehnisse mit Toten und Verletzten während des Transports und seiner KZ-Zeit vom 12.11.bis zum 02.12.1938 hat der Lüdenscheider Hermann Behrend, auch letzter Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Lüdenscheid wie Nathan Stern in Meinerzhagen berichtet. Ihm war im März 1939 mit Frau und Sohn die Flucht nach Kuba und dann weiter in die USA gelungen. Über seine Empfindungen bei seiner Entlassung aus Sachsenhausen am O2.12.1938, wo er von Weinkrämpfen berichtet, schreibt Behrend u.a.: „Am Tage meiner Einlieferung in dieses Lager habe ich niemals daran geglaubt, jemals meine liebe Frau noch meinen Fritze wieder zu Gesicht zu bekommen.“ In dem Buch „Lüdenscheider Jüdinnen und Juden 1690 – 1945“ von Erich Kann und Matthias Wagner, Reiner Padligur Verlag, ISBN 3-922957-39-0, ist die ganze erschütternde Schilderung Hermann Behrends über diesen Teil der lokalen und deutschen Geschichte auf den Seiten 176 bis 182 wiedergegeben.

Was geschah in Meinerzhagen im und am Wohnhaus von Nathan Stern nach dessen Verhaftung? Darüber gibt es Aussagen von Hedwig Heumann, geborene Stern, Carl Michel und Anni Boese, geborene Kamphaus. Anni Boese, die damals 18 Jahre alt war und in der Nachbarschaft in der Bäckerei Kamphaus bei ihren Eltern in der Kirchstraße wohnte und Augen- und Ohrenzeugin war, berichtete, dass drei Meinerzhagener SS-Leute gewaltsam die größeren Einrichtungsgegenstände (Bänke, Vorbeterpult usw.) aus dem Lagerhaus und die Kultusgeräte (Thorarollen, Mäntel, Decken, Teppich, Vorhänge, Schofar usw.) aus dem Wohnhaus nach draußen auf den Hof hinter dem Haus schafften, wo sie diese kaputt traten und alles verbrannten. Sie „triumphierten, daß das Nest ausgeräumt wurde“.

Im Wiedergutmachungsverfahren bestätigte der Amtsdirektor der Amtsverwaltung Meinerzhagen mit Schreiben vom 29. Mai 1959 an die Kreisverwaltung Altena „amtlich“ , „dass die geschilderte Zerstörung der Einrichtungs- und Kultgegenstände des Betraums der jüdischen Gemeinde Meinerzhagen im Monat November 1938 erfolgte“.

Wie Hermann Behrend aus Lüdenscheid dürfte es auch ähnlich Nathan Stern und den übrigen vier Meinerzhagenern im Konzentrationslager Sachsenhausen ergangen sein. Nathan Stern wurde dort unter der Häftlingsnummer 11978 geführt und war im Häftlingsblock 42 untergebracht. Am 28.11.1938 wurde er entlassen – wohl aus Altersgründen. Nathan Stern war zu diesem Zeitpunkt 67 Jahre alt. Ein weiterer Grund war sicherlich, dass er mit dem Verkauf seines Hauses bereits „vorbereitende Maßnahmen zur Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland“ getroffen hatte, wie dies im damaligen Amtsdeutsch beschrieben wurde. Die übrigen Meinerzhagener folgten ihm bis zum 22. Dezember 1938. An diesem Tag wurden Max Rosenthal und Leo Stern nach Meinerzhagen entlassen. Unmittelbar nach ihrer Entlassung erfolgte ihre Vorladung zur Amtsverwaltung Meinerzhagen. Hier wurde ihnen eröffnet, dass sie ihre Auswanderung sowie die ihrer Familienangehörigen , Ehefrau und Kinder, umgehend zu betreiben hätten. Die Auswanderung habe innerhalb von 14 Tagen, im Höchstfall von 3 Wochen zu erfolgen. Zum mindesten mussten bei Ablauf dieser Frist Unterlagen vorgelegt werden, wonach die Versuche zur Auswanderung greifbare Formen angenommen hatten.

Diese Protokolle hatte jeder zu unterschreiben.

Als erste betroffene Person kam dieser Aufforderung die Tochter von Nathan und Rosa Stern nach. Hedwig Stern, genannt Hetti, heiratete am 2. Januar 1939 in Meinerzhagen den Kaufmann Hermann Heumann aus Köln, gebürtig aus Friesheim, Kreis Euskirchen, und zog mit diesem am gleichen Tag nach Köln. Von dort flohen beide nach Shanghai, wo sie den Holocaust unter unsäglichen Bedingungen überlebten, wie auch vier weitere junge Männer aus Meinerzhagen.

Nathan Stern wird schon lange vor der Reichsprogromnacht gewusst haben, dass für ihn und seine Familie kein Platz mehr in Deutschland war. Um aber auch weiter ohne laufende Einnahmen bis zu seiner Flucht existieren zu können, verkaufte er am 03. Oktober 1938 seine Zum Alten Teich 2 gelegene Hausbesitzung nebst Umlage, 1.319 qm groß, zum Kaufpreis von 15.000,-- RM an den Metzger Karl Potthoff, wohnhaft Hoboken/New Jersey, der Bürger der Vereinigten Staaten war. Der Vertrag vom 03. Oktober 1938 wurde vorbehaltlich der Genehmigung des am 16. September 1938 geschlossenen Vertrages zwischen Karl Potthoff und seinen beiden Geschwistern einerseits und der Kommanditgesellschaft Otto Fuchs andererseits, geschlossen. Hierbei ging es um rund 25.000 Quadratmeter Erweiterungsgelände für die Firma Fuchs. Die Gestaltung der Verträge und deren Verquickung durch den beurkundenden Notar Dr. jur. Heinrich Kurz macht deutlich, wie geschickt er diese abfasste. Die zu erkennende Interessenlage brachte den nötigen Druck in das schwierige Genehmigungsverfahren - Karl Potthoff war Ausländer - unter Beteilung von sieben verschiedenen Behörden. Die letzte befand sich in Berlin.

Nach Abzug von auf der Besitzung Zum Alten Teich 2 ruhenden Hypotheken und eines als Hypothekendarlehn gestundeten Restkaufpreises sollten 8.333,33 RM an Nathan Stern gezahlt werden. Aufgrund der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 03.12.1938 wurde es jedoch einem Sperrkonto gutgeschrieben, über das Nathan Stern nur beschränkt verfügungsberechtigt war. Immerhin konnte er hiervon die ihm auferlegte „Judenvermögens-abgabe“ in Höhe von 5.250,00 RM an das Finanzamt Lüdenscheid und eine sogenannte „Degoabgabe“ für die Mitnahme von Umzugsgut in Höhe von 482,00 RM an die Deutsche Golddiskontbank überweisen.

Nathan und Rosa Stern verfügten in ihrem Haus Zum Alten Teich 2 über eine sehr gut eingerichtete 6-Zimmer-Wohnung. Die Einrichtung verkaufte Nathan Stern zu Schleuderpreisen. Der Regierungs-präsident in Arnsberg als Entschädigungsbehörde veranschlagte im von 1956 bis 1965 laufenden Entschädigungsverfahren den Zeitwert auf 8.000,00 RM und schreibt dazu: „Erfahrungsgemäß wurde im Jahre 1940 bei verfolgungsbedingten Verschleuderungsverkäufen ein Erlös erzielt, der bei etwa 20 % des Verkehrswertes lag.“

 

Der erzielte Erlös reichte wohl aus, um die Reisekosten über Lissabon nach Buenos Aires für Nathan und Rosa Stern sowie die Frachtkosten für das Umzugsgut zu bezahlen. Die Gesamtkosten bezifferte der Regierungspräsident als Entschädigungsbehörde auf 2.450,00 RM.

Das Umzugsgut wurde der Speditionsfirma Schenker & Co. in Hagen zum Transport übergeben. Es kam nie in Buenos Aires an.

Über den Abschied von Nathan Stern aus Meinerzhagen sind zwei Begebenheiten überliefert. Die Großmutter der bereits erwähnten Schülerin Eva Schriever berichtete ihr: „Eines Abends kam Nathan Stern und besuchte meinen Schwiegervater. Damit sie keiner sah, haben sie sich im Stall versteckt. Dort hatten sie noch ein langes Gespräch und unter Tränen sagte Nathan Stern meinem Schwiegervater, daß er und seine Familie am nächsten Tag nach Amerika auswandern wollten. Ob sie dort angekommen sind, weiß ich nicht.“

Die im November 2015 verstorbene und im Mai 1920 geborene Anni Boese, geborene Kamphaus, beschrieb die Familie Nathan Stern als sehr gute Nachbarn ihrer Familie. An die Abschiedsszene erinnerte sie sich sehr gut, als ihr Vater Julius Kamphaus zu Nathan Stern sagte: „Nathan, bleib doch hier, einen alten Baum verpflanzt man nicht.“ Die beiden Männer lagen sich in den Armen und weinten wie die Kinder. Sie sollten sich nie wiedersehen.

Heute wissen wir, dass der alte Baum die Verpflanzung nicht überstanden hat. Aber auch das Bleiben in Meinerzhagen hätte die Deportation entweder am 28. April 1942 oder am 27. Juli 1942 und die anschließende Ermordung durch das eigene Vaterland bedeutet.

Als Nathan und Rosa Stern Meinerzhagen am 10.12.1940 verließen, waren sie praktisch mittellos. Nach den Regelungen der Reichsfluchtsteuer war die Mitnahme von Geld, Schmuck und anderen Gegenständen verboten und wären ihnen beim Grenzübertritt abgenommen worden. Sämtliche verbliebenen Vermögenswerte, z.B. auf den Sperrkonten der Gemeindesparkasse Meinerzhagen, wurden dem Deutschen Reich übereignet.

Wie war der weitere Lebensweg der übrigen Familienmitglieder?

Ehefrau Rosa Stern, in Meinerzhagen als „dat lange Mensche“ bekannt, verblieb zunächst in Buenos Aires. Später verzog sie nach New York, wo inzwischen auch ihre Tochter Hedwig mit ihrer Familie lebte. Hier verstarb Rosa Stern 1951.

Sohn Hugo Stern verblieb in Argentinien. Im Sommer 1961 wurde ihm die Einbürgerungsurkunde des Regierungspräsidenten Arnsberg von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland ausgehändigt. In den sechziger Jahren besuchte er seine Geburts- und Heimatstadt Meinerzhagen, der er 1969 einen Ostergruß zukommen ließ, den die Meinerzhagener Zeitung in ihrer Osterausgabe 1969 veröffentlichte. Sein Sterbezeitpunkt ist (noch) nicht überliefert.

Tochter Hedwig (Hetti) Heumann, geborene Stern, floh gemeinsam mit ihrem Mann Hermann – wie bereits erwähnt – nach Shanghai. Hier wurde am 14. August 1942 Sohn Peter Nathan geboren, der im Alter von 13 Monaten am 27. September 1943 an Unterernährung starb. 1944 kam Tochter Yvonne Heumann zur Welt. 1947 emigrierte die dreiköpfige Familie nach New York in die USA. Später verzogen die Heumanns nach Baltimore. Hedwig und Hermann Heumann besuchten in den sechziger Jahren unter anderem auch Meinerzhagen. Ehemann Hermann verstarb 1969. Ein weiteres fest geplantes Wiedersehen ihrer Heimatstadt im September 1982 beim großen Treffen ehemaliger Meinerzhagener war Hedwig nicht vergönnt. Sie verstarb im April 1982.

Die 1944 in Shanghai geborene Enkelin von Nathan und Rosa Stern, Yvonne geborene Heumann, lebt heute mit ihrem Mann Rene Daniel in Owings Mills (Maryland) in der Nähe von Baltimore.

Im Jahre 2006 besuchte sie mit Ihrem Mann ihre Geburtsstadt Shanghai.

Ein Besuch der Geburts- und Heimatstadt ihrer Mutter und ihrer Großeltern gestaltet sich schwierig. Auch 75 Jahre nach dem Tod von Nathan Stern wird ein öffentliches Gedenken an ihn und seine Familie in Meinerzhagen immer noch verwehrt.

 

 
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