Begrüßungsrede zur dritten Stolpersteinverlegung am 17. November 2014

 

Joachim Trambacz "Initiative Stolpersteine Meinerzhagen"

Liebe Gäste, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Die Geschichte der Verlegung von 4 Stolpersteinen am heutigen Tag ist schon wieder eine ganz besondere. Nachzulesen war sie ja auch schon in der Meinerzhagener Zeitung vom vorletzten Samstag. Aber da es mir sehr wichtig ist, will ich sie kurz wiederholen.

Nach der erfolgreichen 2. Verlegung von Stolpersteinen am 29. August diesen Jahres Zur Alten Post 8 und vor dem Haus Kirchstraße 5, wusste die Initiative, dass es an weiteren Verlegeorten noch keine Zustimmung der heutigen Hauseigentümer gibt. Bekanntlich ist laut Ratsbeschluss eine Verlegung von Stolpersteinen nur dann möglich, wenn die Hauseigentümer damit einverstanden sind, auch wenn das vor dem Haus liegende Grundstück in öffentlicher Hand ist.

Nun kam auf einmal die Nachricht, dass die hier in der Derschlager Straße 11 geborene Eva Fischbach, mit ihrem Mann auf Einladung der Stadt Herdecke nach Deutschland kommt. Wir wurden auch darüber informiert dass sie einen Besuch in Meinerzhagen plant. Die Initiative freute sich natürlich sehr. Aber wie sollte man ihr verständlich machen, dass für ihre Familie eine Verlegung von Stolpersteinen zurzeit nicht möglich ist.

Da gibt es nur noch zwei lebende Opfer des Nationalsozialismus die hier in Meinerzhagen ihre Wurzeln haben – neben Eva Fischbach ihre Cousine Margot Fischbach, ehemals aus der Lindenstraße – und genau vor deren beiden ehemaligen Wohnungen wird die Verlegung zur Zeit verweigert. Von der Initiative dachte man schon über eine symbolische Stolpersteinverlegung nach. Die Steine wurden auch schon mal vorsorglich bei dem Künstler Gunter Demning bestellt. „Gott sei Dank“ - kann man da nur sagen!

Doch dann geschieht etwas Großartiges. Beim nochmaligen Abchecken der Situation vor Ort durch Rolf Janßen, unermüdlich darum besorgt welche alternativen Möglichkeiten der Stolpersteinverlegung es wohl doch noch gibt, trifft er auf Frau Wiebke Veit, der heutigen Eigentümerin des Hauses Derschlager Straße 9. Diese erzählt ihm freudestrahlend, dass sie weiß, dass Eve Lee nach Deutschland kommt. Sie ist mit Eve Lee seit ihrer Schulzeit freundschaftlich verbunden und die beiden pflegen einen regen Briefkontakt. Und sie erklärt sich sofort bereit, als sie von den Schwierigkeiten der Verlegung vor dem Nachbarhaus hört, ihr Grundstück dafür anzubieten. Ich will es nun kurz machen mit dieser Geschichte, denn heute stehen wir genau hier auf dem Grundstück Derschlager Straße 9 und können ganz besonders froh und dankbar sein. Aber da wird genau die Problematik sichtbar, mit der es die Initiative Stolpersteine zu tun hat. Da gibt es auf der einen Seite die manchmal spürbare Abneigung, bis zur Verweigerung dieser Art des Gedenkens an die Holocaust-Opfer und auf der anderen Seite die Zustimmung und erkennbare Freude darüber, dass sich eine Initiative zusammengefunden hat und sich der ehemaligen Mitbewohner Meinerzhagens annimmt.

Vielleicht ist das nicht jedem klar, aber die jüdischen Familien die damals hier gewohnt haben, waren teils verwandtschaftlich oder freundschaftlich verbunden, kannten sich aber natürlich durch die jüdische Gemeinde. Und so wie es damals war, ist es vielfach auch noch heute. Obwohl in der ganzen Welt verstreut, weiß man sehr wohl voneinander und damit auch sehr gut was sich da in Meinerzhagen tut und man ist sehr interessiert. Durch die Reihe wird begrüßt, dass die unerfreuliche Geschichte der Naziherrschaft hier in Meinerzhagen aufgearbeitet wird. Enttäuscht sind die Familien aber auch, wenn sie mitbekommen, dass für ihre Angehörigen noch keine Stolpersteine verlegt werden können.

Es ist heute der insgesamt dritte Termin, an dem Stolpersteine verlegt werden. Und es ist auch das dritte Mal, dass wiederum Gäste anwesend sind – Angehörige der Opfer oder heute sogar auch noch mit Frau Eve Lee eine persönlich betroffene Person. Wir in der Initiative waren uns zu Anfang wohl nicht ganz klar darüber, was für eine Bedeutung die Stolpersteinverlegungen dadurch bekommen würden. Weinend stehen auf einmal Menschen beieinander, sind gerührt, beschämt, traurig, wenn die Kurzbiographien der Opfer verlesen werden, ergriffen, wenn die Angehörigen mit uns das Kaddisch zu sprechen, das den Juden so wichtige Gebet.

Vielleicht ist aber noch wichtiger, was sich aus den Besuchen sonst noch ergibt. Da wird geredet, gesungen und musiziert, werden Bilder gezeigt, Geschichten erzählt, es wird gegessen und getrunken. Und es wird sich ständig umarmt. Man liegt sich in den Armen, teils nachdenklich und bedrückt aber auch mit einer großen Freude. Echte Dankbarkeit ist zu spüren und sie wird auch ausgedrückt. Entweder sofort durch Worte oder Gesten, später dann durch Briefe. Freundschaften entstehen. Gegenbesuche folgen.

Die Stolpersteine sind mehr als Pflastersteine die mit einer Messingtafel versehen sind. Sie sprechen die Herzen an, bringen Menschen zum Nachdenken, man verbeugt sich vor den Opfern indem wir ihre Namen lesen, Schülerinnen und Schüler erleben Geschichtsunterricht hautnah.

Was wäre es schön, wenn es der Initiative gelingen könnte, vor allen zuletzt freigewählten Wohnorten der ehemaligen jüdischen Mitbürger Stolpersteine zu verlegen. Erst dann wäre ein wichtiger Teil des Gesamtkunstwerkes im Sinne von Gunter Demning fertiggestellt. Meinerzhagen will eine lebendige Stadt sein, dazu gehört aber auch die lückenlose Aufklärung nicht so rühmlicher Zeiten. Die Stolpersteine zeigen uns immer wieder wo früher Menschen unter uns und mit uns gewohnt haben bis sie dann zu Ausgegrenzten, zu Unmenschen, zu Opfern wurden. Geschichte tut oft weh, aber sie erinnert daran, dass wir alle aufpassen müssen, dass sie sich nicht wiederholt.

Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich Ihnen noch aus einem Dankesbrief von Gail Stern vorlesen. Gail Stern war mit ihrem Bruder Jeffrey und ihrer Schwägerin Sheri aus Baltimore in den USA nach Meinerzhagen gekommen um bei der Stolpersteinverlegung am 29. August diesen Jahres für ihre Familie dabei zu sein. Gail Stern beruft sich in ihrem Brief auf ein Lied, das die Juden während des Passahfestes singen. In diesem Lied wird dem Herrn gedankt wie er sie aus Ägypten geführt hat und für das was schon alles vorher geschehen ist. So heißt es immer wieder: hätte der Herr nichts weiter getan als dieses, es wäre genug gewesen.

Ich zitiere:

Wenn ihr uns auch nur gezeigt hättet, dass Menschen sich noch erinnern .und kümmern,
wenn ihr nichts weiter getan hättet als die Stolpersteine für unsere Familie zu polieren,
wenn ihr nichts weiter getan hättet als Shalom Aleichem für uns zu singen,
wenn ihr nichts weiter getan hättet als uns die Familie zurückzugeben die wir verloren
hatten …

Jedes Einzelne davon wäre genug gewesen… völlig genug … aber ihr habt all das getan, und viel mehr , ihr habt es voller Würde getan, von Herzen, mit Güte, und und und.

Kann es noch mehr Ansporn geben um an dieser großartigen Sache weiter zu arbeiten?

 

Matthias Scholand "Vorsitzender des Ausschusses für Kultur, Denkmalschutz und Denkmalpflege"

Sehr verehrte Frau Lee,

liebe Familie Lee,

sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst möchte ich sie alle recht herzlich begrüßen auch im Namen unseres Bürgermeisters Jan Nesselrath, der ganz außerordentlich bedauert, heute nicht persönlich zu ihnen sprechen zu können. Es  bestanden schon sehr langfristig vereinbarte Termine, die nicht mehr verschoben werden konnten. Seien sie auch gegrüßt im Namen von Rat und Verwaltung der Stadt Meinerzhagen.

Der Nationalsozialismus hat in den Jahren 1933 bis 1945 in Deutschland viel Leid, Schmerz und Tod verursacht. Hierzu gehört auch das Leid, welches den damals in Meinerzhagen lebenden Juden und auch ihrer Familie, liebe Frau Lee, zugefügt wurde.

Nur noch wenige Bürgerinnen und Bürger haben hieran eine persönliche Erinnerung. Es gibt aufgrund des Zeitablaufs immer weniger Menschen, die möglicherweise sogar persönlich als Täter oder Opfer involviert waren.

Trotzdem stehen wir alle in der Verantwortung der Geschichte.

So sehr wir uns gerne als Volk der Dichter und Denker begreifen und uns in der Tradition der Moderne, der Aufklärung und der christlichen Werteordnung sehen – so sehr stehen wir auch im Kontext der Geschichte. Nur auf der Basis der Vergangenheit  können wir in der Gegenwart leben und die Zukunft gestalten.

Wir erleben heute bereits die dritte Verlegung von sog. Stolpersteinen.

Liebe Frau Lee, heute allerdings mit der großen Ehre, dass sie persönlich hier sein können als eine der Mitbürgerinnen, die früher hier selbst gelebt hat und schrecklicherweise fliehen musste. Was kann man Angemessenes sagen bei einem solchen Anlass? Sicherlich nichts, was das Leid, was sie und ihre Familie erlitten haben, ungeschehen machen könnte.

Angesichts der faszinierenden Begegnungen mit den Angehörigen der anderen Opfer bei den vorherigen Stolpersteinverlegungen fiel mir spontan ein Satz unseres ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt ein:

„Jetzt wächst zusammen was zusammen gehört“

Er hat das seinerzeit im Zusammenhang mit der Trennung Deutschlands im Anschluss  an den 2. Weltkrieg und Wiedervereinigung vor 25 Jahren gesagt.

Und in der Tat ist auch heute wieder eine große Chance, dass etwas zusammen wächst, was zusammen gehört. Ihre Familie gehörte völlig selbstverständlich zu Meinerzhagen, sie waren Bürger von Meinerzhagen, wie viele von denen, die heute hier sind bzw. deren Eltern und Großeltern.

Ihr Vater war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, war Laienschauspieler der Freilichtspiele in der Grotmicke, war Mitglied im Turnverein und  Gesangverein und ihre Familie hat an den seinerzeitigen Schützenfesten teilgenommen. Sie und ihre Familie waren bis zur Machtergreifung Hitlers ein Teil der Bevölkerung und haben das soziale Leben in Meinerzhagen mitgestaltet. Sie und ihre Familie wurden im 3. Reich mitten aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft in Meinerzhagen gerissenen, obwohl es ihre Heimat war so wie es heute unsere Heimat ist.

Es folgte dann die Trennung, ihre Verfolgung und die Flucht 1938. Das alles liegt jetzt 76 Jahre zurück. 

Ich hoffe und glaube, dass es die Chance gibt zu erleben, dass auch in Meinerzhagen wieder etwas zusammen wächst, was zusammen gehört. Und ich würde mir sehr für sie aber auch für uns alle wünschen, dass sie ihren Frieden mit ihrer Heimatstadt und den Menschen in Meinerzhagen finden, weil wir zusammen gehören innerlich und äußerlich. 

Und diese Möglichkeit der inneren und äußeren Heilung und Versöhnung und das wieder Ankommen in ihrer Heimatstadt in Frieden und Freundschaft ist etwas ganz Wundervolles. 

Bei den ersten Verlegungen der Stolpersteine war dies bereits zu erleben, was viele Menschen und auch mich sehr berührt hat.  Liebe Frau Lee: Herzlichen Dank, dass sie heute hier sind.

Der „Initiative Stolpersteine“ ist sehr zu danken, als sie der Geschichte der Judenverfolgung in Meinerzhagen konkrete Namen und damit Gesichter gegeben haben, die uns anschauen und in die wir hineinblicken können. Die Geschichte wird dadurch verstehbarer und tritt uns entgegen.

Das ist ein ganz wertvoller Beitrag und hilft, dass das Menschliche dort ankommt, wo es seinen Platz hat:

in unseren Herzen.

Ich möchte der Initiative Stolpersteine persönlich danken, für die auch bei mir bewirkten Veränderungen der Sichtweise.

Ich wünsche ihnen Freude über das Erreichte und gute Motivation sowie Beharrlichkeit und Ausdauer für ihre weiteren Ziele. Sie stehen heute in einer guten Reihenfolge von Menschen in Meinerzhagen, denen die Versöhnung mit der Vergangenheit bereits vor der Gründung ihrer Initiative wichtig war; in ihrer Zeit aber andere Ausdrucksformen gefunden hatten. Auch diesen Menschen ist zu danken.

Ich wünsche ihnen in ihrer weiteren Arbeit viel Ruhe und Verständnis für die Mitbürger, die ihrer Initiative vielleicht noch skeptisch gegenüber stehen.

Dabei wünsche ich ihnen auch Geduld; vielleicht eine ähnliche  Geduld, die auch Frau Lee uns allen geschenkt hat.

Vielen Dank für diesen guten Beitrag.

Denjenigen Mitbürgern, die noch skeptisch und/oder auch ängstlich sind, wünsche ich viel Mut und Offenheit und die Bereitschaft, neu nachzudenken und ins Gespräch zu kommen.

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Sören Kierkegaard (1813-55), dän. Theologe u. Philosoph

  „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts.“

 

Vielen Dank ihnen allen.

 

 

 

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